Tägliche Übungen - maßgeschneidert und selbstgemacht

Das Angebot an neuen Instrumentalschulen ist geradezu explosiv angestiegen. Immer neue Titel kommen auf den Markt- und das ist auch gut so. Vor einigen Jahren noch spielte die musikpädagogische Komponente eine untergeordnete Rolle, was sich bis dato grundlegend geändert hat. Trotzdem- die optimale Herangehensweise an die eigene Übepraxis ist doch stets die "individuelle" und "maßgeschneiderte", die nur von einer qualifizierten Lehrkraft geleistet werden kann.

Nur intelligent konstruierte Etüden können den vielfältigen Erfordernissen des Musikerberufes gerecht werden. Unterrichtsfilmchen aus der "Dose" in Form von DVD’s und CD’s sind eben nur ein sehr bescheidener Ersatz für das "Miteinander"  im persönlichen Unterricht.

Praxisorientiertes Üben

Im Laufe meiner Studien bei zahlreichen Instrumentallehrern meines Faches habe ich lernen können, dass das Herangehen an das Instrumentalspiel

a)    nicht neu erfunden werden muss und
b)    immer nach den gleichen Grundprinzipien abläuft.

Praxisorientiertes Üben hat sich im Rahmen meiner Konzert- und Lehrtätigkeit als die effektivste Methode erwiesen. Dabei sollte der Bezug zur Orchester- und Sololiteratur nie in den Hintergrund geraten, denn diese ist schließlich das Ziel unseres Übens.
Meine Intention ist die vielschichtige Thematik des Blechblasens in eine methodische Form zu bringen- fokussiert auf das Wesentliche. Wichtigste Kriterien sind Qualität und "Zielgenauigkeit" der Übungen. An dieser Stelle danke ich meinem Vater Werner Michel und meinem Professor Reinhold Lösch, die mich auf diesen Weg gebracht und mir wesentliche Impulse mitgegeben haben.

Mein ganz persönlicher Übecocktail

Hinzu kommt, dass man sich letzten Endes seinen eigenen Übecocktail bestenfalls selbst mixt, denn wir kennen uns selbst doch am besten. Und wer hat schon das Geld, um sich aus jeder Instrumentalschule die wenigen Übungen heraus zu nehmen, die für den Fortschritt entscheidend sind?

Stärken- und Schwächenanalyse

Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn Schwächen erkannt und gezielt behandelt werden. Das ist in der Medizin nicht anders. Es bedarf einer objektiven und gezielten Diagnose mit daraus resultierenden maßgeschneiderten Übungen. Steht kein geeigneter Coach zur Verfügung, so muss die eigene Kreativität einspringen und selbst gebastelte Übungen entwickelt werden. Bereits vorhandene Etüden können ganz leicht modifiziert werden und als völlig neu kreierte Etüden ihren neuen Zweck erfüllen. Das kann man alles lernen.

Und wie geht das?

Im Unterricht hatte Professor Reinhod Lösch mir wertvolle Anregungen an die Hand gegeben, wie man beispielsweise Übung der alt- ehrwürdigen Trompetenschule von Jean Baptiste Arban derart verändern konnte, dass als Endprodukt eine absolut neue Übung entstand, die meinen persönlichen Erfordernissen entsprach.  

Folgende Parameter sind dabei veränderbar:

  1.     Das Tempo
  2.     Multiplizierung
  3.     Chromatische Versetzung von Übungen
  4.     Variationen des Rhythmus.
  5.     Legato: Bindebögen kreativ verändern.
  6.     Sezieren schwieriger Melodiepassagen und Neubau einer passenden Übung.
  7.     Kombinationen der Variationen  von Tempo, Rhythmus, Multiplizierung und Sezierung.

Übung 1

Jean Baptiste Arban, Vollständige Schule für Trompete, erster Teil: aus jedem einzelnen Ton der Originalübung wird eine Vervielfachung bei reduzierten Tempo. Viertel = 52, piano, Töne leicht voneinander absetzen, sauberer Anstoß, Mundstück stets am Mund, nur durch Nase atmen, Lippenstellung unverändert halten auch bei Pausen.
Fazit: es entsteht eine Kraftübung, die nicht überfordert (Höhe, Dynamik) und trotzdem enorm effektiv ist.

Übung 2

Ultralangsam, ultrapiano, ultrakurz, ultraabgesetzt -
eine hervorragende Übung für die Verbesserung des Ansprechverhaltens der Töne und der Treffsicherheit.

Übung 3

Versetzung einer Übung von der Originaltonart in eine andere Tonart (1/2 Ton höher, Quarte höher etc.).

Übung 4

Aus Achtelnoten werden Punktierungen, Triolen oder Quintolen.

Übung 5

»Clarke Technical Studies«, No. 27-44, second study: Verschiebung des Legatobogens.

Übung 6

Haydn-Konzert für Trompete Es-Dur, die es3-Stelle: Beginnend ab c1, aufsteigend bis zur Originalstelle.

Und beim Üben bitte nie vergessen, Lockerungsübungen einzuschieben. Immer schön locker bleiben!
Im Laufe des Lebens erhält man viele gute Ratschläge - sie können helfen oder auch nicht. Doch eines ist sicher: »Suchst Du nach einer hilfreichen Hand, findest Du sie am ehesten am Ende Deines eigenen Armes.«
Ich hoffe sehr, dass dieser Artikel dazu beiträgt den Leser ein Stücknäher auf »seinen eigenen Weg« zu bringen.

Viel Erfolg!